Ich habe einige Narzissten* kennengelernt. Selbstverliebte Persönlichkeiten, die sich stets im Mittelpunkt sehen und auf permanente Bestätigung aus sind. Nicht selten wirken sie im ersten Kontakt smart und zeigen sich als erfolgreich. Ja – auch ich bin solchen Schauspielern im ersten Kontakt bei der Besetzung von Führungspositionen schon auf den Leim gegangen. Sie treten häufig eloquent und mit berechnendem Charme auf. Sie werfen alles in die Waagschale, um andere für sich zu begeistern. Und so erscheinen sie durchaus als interessante Kandidaten für Aufgaben im Management.
Daher habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, bei Kandidaten mit so einem Auftreten besonders genau hinzuschauen. Denn hat sich ein Unternehmen erst einmal einen Narzissten eingefangen, ist es kaum möglich, ihn auf Teamkurs zum Wohl des Unternehmens zu bringen. In Führungspositionen meinen sie, stets zeigen zu müssen, keine Schwächen zu haben. Fehler machen die anderen, die mit Vorliebe klein gehalten werden, um selber groß dazustehen. Notfalls wird die Wahrheit so lange gebogen, bis die Version zu ihrem Vorteil ist. Unsere Verantwortung als braveheads im Recruiting-Prozess ist, genau solche „Typen“ im Vorfeld unserer Kandidatenpräsentation herauszufiltern. Denn wir schauen über den Tellerrand hinaus.
Ist Narzissmus in Unternehmen nun ein echtes Thema oder gar ein Problem? Aktuelle Studien zeigen, was auch wir von unseren Kunden hören: Narzissmus ist in Unternehmen bislang weniger stark verbreitet, als man befürchten könnte. Doch die Tendenz nimmt zu. Erstaunlich oft gehören Narzissten, so die aktuellen Beobachtungen, zur männlichen, jungen Selfie-Generation. Digital Natives leben nun mal in sozialen Medien. Worum geht’s da? Genau! Sich positiv ins Licht zu rücken und dabei ständig mit anderen zu vergleichen. Das ist eine typische Verhaltensweise von Narzissten. Natürlich fallen auch bei weiblichen Führungskräften und in der älteren Riege immer wieder mal narzisstische Verhaltensweisen auf, wenngleich weniger häufig.
So warnt Wirtschaftswissenschaftlerin Victoria Berg davor, dass die „Jungbullen” kommen. Junge Männer und Frauen um die 30 Jahre haben demnach die höchsten Narzissmus-Werte. In einem Interview der FAZ sagt sie: „Die Gesellschaft muss sich allgemein auf eine sehr narzisstische Generation einstellen.” Ein Grund für uns Personalberater von braveheads, im Recruiting-Prozess von Führungskräften sensibel auf entsprechende Anzeichen zu achten.
Eigene Ziele im Fokus
Aufgrund ihrer Selbstbezogenheit sind Narzissten mit allen Tricks und Winkelzügen darauf aus, im Unternehmen gut dazustehen und beanspruchen Erfolge allein für sich. Dafür sind narzisstische Führungskräfte aber auch bereit, ein extrem hohes Maß an Engagement einzubringen, um das zu bekommen, wonach sie streben. Und das wiederum wird im Topmanagement verständlicherweise erst einmal gerne gesehen.
Narzisstisch veranlagte Menschen haben aber ihre eigenen Ziele im Fokus und nicht die des Unternehmens. Solche Manager lassen keine Kritik an ihren Entscheidungen zu, auch wenn sie noch so berechtigt und konstruktiv formuliert ist.
Ich habe in manchen Beratungsprozessen erlebt, wie Führungskräfte Fehlentwicklungen angeblich unglücklichen Umständen oder Mitarbeitenden in die Schuhe geschoben haben, selbst wenn die Verantwortung klar bei ihnen lag (das ergab dann unser Background-Check).
Gift für den Teamspirit
Aufgrund ihrer Selbstbezogenheit sind Narzissten nicht in der Lage, sich mit Empathie in andere hineinzuversetzen und deren Warte zu verstehen. Natürlich können Narzissten kaum auch noch so gute Lösungsvorschläge von Mitarbeitenden annehmen. Eigene Wissenslücken oder Ratlosigkeit zugeben und ein Statement von anderen einholen? Ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich habe in Unternehmen, die wir von braveheads beraten, erfahren, wie dadurch das Engagement der Mitarbeitenden leidet. Sie ziehen sich unzufrieden zurück und kündigen häufig – nicht nur innerlich. So verliert das Unternehmen qualifizierte Mitarbeitende, weil deren Knowhow nicht gewürdigt wird.
Was bleibt, ist ein Team von Jasagern, die der narzisstischen Führungskraft nach dem Mund reden, um sich nicht in die Schusslinie zu bringen. Querdenken und innovativ nach vorne schauen: Fehlanzeige.
Umgang des Teams mit narzisstischer Führungskraft
Narzisstische Tendenzen sind genau das Gegenteil dessen, was eine gute Führungskraft ausmacht. Die Autorinnen Julie Battilana und Tiziana Casciaro bringen es für mich gut auf den Punkt: „Wollen Führungskräfte Macht effektiv ausüben und zugleich ihre Fallstricke umgehen, müssen sie Bescheidenheit und Empathie entwickeln: Bescheidenheit als Gegenmittel zur Selbstüberschätzung und Empathie als Gegenmittel zur Selbstsucht.“ Aber genau das kann eine narzisstische Führungskraft nicht.
Wer mit ihr zusammenarbeiten muss, sollte sich deren Mindset klar machen. Es ist ratsam, deren Kritik nicht persönlich zu nehmen, da sie Narzissten als Egopflege dient und häufig nicht konstruktiv gemeint ist. Wenn möglich, sollte man der Person aus dem Weg gehen. Mit eigenen kritischen Äußerungen – vor allem im Beisein anderer – sollte man sehr vorsichtig sein.
Nach meiner Erfahrung haben starke Teams mit einem guten Zusammenhalt durchaus Chancen, sich gegen Narzissten zu wehren. Es ist dann hilfreich, Schmerzgrenzen zu definieren (ggf. mit externer Moderation/Mediation), die von der Führungskraft nicht überschritten werden sollten und im Konfliktfall ein klärendes Gespräch zu suchen, um Vorfälle dieser Art künftig zu verhindern. Ja, stimmt – dazu gehört eine gehörige Portion Mut. Und eine grundsätzlich wertschätzende und offene Unternehmenskultur als Basis.
Was das Management tun kann/muss
Menschen mit extrem narzisstischen Zügen sind im beruflichen Alltag kaum zu ändern. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, raten wir braveheads der Unternehmensleitung mit Nachdruck, eine Klärung der Situation herbeizuführen. Je nach Ausprägung des unerwünschten Verhaltens gibt es aus meiner Sicht nur zwei Möglichkeiten. Bei leichten narzisstischen Tendenzen können Coaching-Maßnahmen unter Umständen zu der gewünschten Verhaltensänderung führen. Handelt es sich bei der Führungskraft um einen „typischen“ Narzissten, ist meine Empfehlung ganz klar: Trennung – und zwar sofort!
Der beste Weg ist natürlich, Narzissten gar nicht erst einzustellen. Wir als Personalberater achten schon im Recruiting-Prozess auf die Wir-Orientierung der Kandidaten. Hier gilt es insbesondere die Soft Skills der Kandidaten zu beleuchten. Das machen wir im Bewerbungsprozess an verschiedenen Stellen, z.B. durch gezielte Interviewfragen, den Einsatz valider Management-Diagnostik und ausführlichen Background-Checks bei früheren Vorgesetzten und Kollegen.
Gute Unternehmenskultur wichtig
Was können die Unternehmen vom Grundsatz her tun? Ihre Kultur sollte so ausgestaltet sein bzw. werden, dass der Fokus auf dem gemeinschaftlichen Erfolg liegt und entsprechend belohnt wird. Für gemeinsame Entscheidungsprozesse sind klare Regeln wichtig, ebenso für Beurteilungen und Beförderungen. Dafür sollte auch das Feedback von Teammitgliedern durch anonymisierte Befragungen eingeholt, ausgewertet und entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.
Wir braveheads empfehlen Unternehmensinitiativen, mit denen die Teamfähigkeit und das „Wir-Gefühl“ oder besser noch das „Wir-Erleben“ gesteigert wird. Dafür gibt es entsprechende Trainingsprogramme, in denen Kommunikation, Teamfähigkeit und Selbstreflexion gestärkt werden. Von uns betreute Unternehmen haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Zudem sollte sich, nach unserer Meinung, jeder Manager laufend kritisch hinterfragen, ob bei ihm ein Trend zu einem egoistischen oder vielleicht schon narzisstischen Verhalten erkennbar ist. Die Machtfülle und Bedeutung einer Führungskraft beflügeln solche Entwicklungen. Das Ego wird größer und selbst kaum merklich wird eine kritische Schwelle überschritten. Ein guter Spiegel ist das private Umfeld. Partner, Kinder und Freunde geben einem eine zumeist ehrliche Rückmeldung, ob man sich als Person verändert hat. Kommen solche Hinweise, sollten sie wirklich ernst genommen werden.
Zitat
„Narzissmus ist eine unglückliche Liebe zu sich selbst. Man blickt in den Spiegel und das Spiegelbild zerrinnt. Man sucht sich immer, und man trifft sich nie.“ – Wolfgang Joop, Modedesigner
*Aus sprachlichen Gründen benutzen wir das generische Maskulinum, gemeint sind alle Geschlechter (m, w, d).